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Die Dunkelheit findet nur abseits des Lichtes statt...

Einige Kilometer abseits von Bayreuth befindet sich, irgendwo zwischen den Hügeln versteckt, ein kleiner Weiler, der unerwartet vor einem in die Feld- und Waldlandschaft dahingewürfelt auftaucht. Hier in einem ehemaligen Gasthaus, hat sich vor einigen Jahren eine Wohngemeinschaft häuslich eingerichtet.
Während mich, nach einer langen Zeit, Bayreuth in Dunkelheit, Kälte und Schnee empfing, wurde ich in dem ehemaligen Gasthaus mit heißem Früchtetee und Florentinern bei Kerzenschein in einem mollig warmen Zimmer von den anwesenden Bewohnern des Hauses auf´s Herzlichste begrüßt. Ständig strichen zwei Kater (der eineinhalbjährige, verspielte Voodoo und der träge, vierzehn Jahre alte Kidder) zwischen unseren Füßen herum, ließen sich, unter wohlgefälligem Schnurren, bereitwilig streicheln und verschwanden oft ebenso lautlos aus dem Blickfeld des warmen Kerzenlichtes in der heimeligen Dunkelheit des Zimmers, wie sie aus dieser auch wieder auftauchten (vor allem Voodoo).

Wie bitte ? Sie möchten wissen, was dies alles mit Goethes Erben zu tun haben soll ?
Zewie der im Raum anwesenden Personen sind Oswald H. und Mindy Kumbalek. Und die beiden sind Goethes Erben. Diese Frage ist ja nun hiermit beantwortet, deshalb weiter im Text.
Was ? Sie kennen Goethes Erben noch gar nicht ? Dann werde ich am besten etwas weiter ausholen und ein paar erklärende Worte zur Bandgeschichte loswerden. Hier gibt es auch schon das erste Problem, denn Goethes Erben sind keine Band im herkömmlichen Sinne, sondern machen musikalisches Theater, aber dazu später mehr.

Gegründet wurden Goethes Erben im Januar ´89 von Oswald H. (Texte und Sprache) und Peter S. (Keyboards, Drumcomputer). Nach zwei Tapeveröffentlichungen und einem Liveauftritt verließ Peter S. im Juli ´90 das Projekt. Owald H. arbeitete nun nur noch im Studio, bis im Februar ´91 Goethes Erben durch Conny R. (Gitarre, Baß) und Mindy Kumbalek (Keyboards, Saxophon, Schlagzeug) wieder zu einer Gruppe komplettiert wurden. Auch in dieser Formation wurden zwei Tapes und zwei Samplerbeiträge abgeliefert, bis schließlich im Februar ´92 auf dem Hamburger Dark Star-Label die erste CD "Das Sterben ist ästhetisch bunt" erschien. Bereits ein halbes Jahr später präsentierten sich Goethes Erben mit ihrem zweiten Werk "Der Traum an die Erinnerung" auf einer Deutschlandtournee mit den befreundeten Catastrophe Ballet. Im selben Zeitraum ist die Formation schließlich zu einem Duo geschrumpft, da Gitarristin Conny kurz vor der Tour das Projekt verließ. Seitdem werden sie live und im Studio vom Catastrophe Ballet-Gitarristen Troy unterstützt, der jedoch keinen Einfluß auf die Musik der Erben hat, so Oswald wörtlich.

Ende Januar diesen Jahres kam die Mini-CD "Die Brut" auf den Markt (mehr dazu in der Rezension) und inzwischen wird schon wieder fleißig im Studio gearbeitet, um im September die dritte CD "Tote Augen sehen Leben" veröffentlichen zu können".

Da sie ja nun hoffentlich das nötige Vorwissen besitzen, möchte ich jetzt zu den Fragen kommen, die mir Oswald und Mindy Samstagnachmittag bereitwillig beantwortet haben.

Über die Texte und das Verhältnis von den Texten zur Musik sagt Oswald : "Sie entstehen, je nach Text, in den unterschiedlichsten Stimmungen. Manche Ideen trage ich monatelang mit mir herum, weil mir das erste Wort, der erste Satz oder irgendetwas anderes fehlt, was mich dazu verleitet, den Text zu vollenden. Mir fehlen dann die Worte, die sich so anhören, wie ich mir das vorstelle. "Das Sterben ist ästhetisch bunt" ist mir zum Beispiel, als ich einmal aus dem Fenster geschaut habe, sofort in diesem Wortfluß eingefallen, während ich bei anderen Stücken gewisse Textpassagen nochmals überarbeiten muß, bis sie mir einfallen. Bei anderen Stücken wurde ich direkt von der Musik beeinflußt und habe meine Wortwahl den musikalischen Passagen angeglichen oder ergänzt, so wie bei "Zinnsoldaten" die Zeile "die Schlacht ist die Arena". Da habe ich mich von der Musik durch diesen Flamenco leiten lassen, der dann live durch die Gitarre verstärkt wird. Aber so etwas ist eigentlich die Ausnahme.
Die Texte sagen nicht unbedingt das aus, was man denkt, sondern was man fühlt. Stücke wie "Spuren im Schnee" oder "Ich möchte nicht länger" handeln zwar vom Thema Suizid, allerdings bringe ich mich ja nicht um, sonst würde ich jetzt nicht hier sitzen. Ich befand mich in einer ähnlichen Stimmungslage, wo ich wirklich einfach keinen Ausweg mehr sah. Dann schreibe ich diese Stücke. Für mich ist das eine Form der Therapie, um mit diesem Problem fertigzuwerden. Das Gefühl, das ich dann losgeworden bin, ist wohl ähnlich wie das, was wahrscheinlich jemand haben wird, wenn er Selbstmordgedanken hegt.
Unsere Stücke entstehen meistens so, daß eine Komposition und ein Text vorliegt und wir versuchen, beide Komponenten in einen Gleichklang zu bekommen. Grundsätzlich wird nicht der Text der Musik angepaßt, sondern das musikalische Arrangement dem Text. Mindy hat eine Harmonie, die zu einem meiner Texte paßt, die dann mit anderen Themen und Harmonien zu einem kompletten Stück zusammengebaut werden. Das wird wie ein Film konstruiert. Zentrale Role, der Ideenträger, bleibt der Text, aber natürlich muß die Musik auch verschiedene Dinge interpretieren können, die in den Texten beinhaltet sind, denn manche Sachen kann man zwar aussprechen, aber wenn man sich wiederholt, wird es von der Sprache her uninteressant und an diesem Punkt setzt dann die Musik ein, oder sie bereitet den Hörer auf ein bestimmtes Thema vor, das dann textlich ausgearbeitet wird. Die Musik greift dort auf, wo das Wort aufhört, beziehungsweise anfängt. Sie ist das ergänzende Bindeglied. Ein gutes Beispiel hierfür ist "Koma", wo eine sehr morbide Atmosphäre aufgebaut wird und in dieser Stimmungslage setzt dann die Stimme ein.

Das Spektrum der Kompositionen reicht von schrägem Industriallärm ("Keine Lösung", "Unrat" oder "Flüstern", das auf dem dritten Album erscheint) bis zu extrem harmonischen Dingen wie "Abseits des Lichtes". Wir wählen die Form der musikalischen Interpretation, die das am besten ausdrückt, oder einen möglichst krassen Gegensatz bildet, wie bei "Krieg" oder "Das schwarze Wesen", eine relativ harmonische Melodie, die allein eigentlich nicht sonderlich melancholisch wirkt, aber zusammen mit dem Text diesen ganz besonderen Akzent bekommt.
Goethes Erben-Kompositionen, gerade die älteren Stücke, können größtenteils fast nicht alleine stehen, weil musikalisch sehr wenig passiert. Das wird sich jetzt bei den neueren Sachen ändern, weil wir uns einfach weiterentwickelt haben. Gerade Mindy hat jetzt bessere kompositorische Fähigkeiten entwickelt. Wir arbeiten inzwischen wesentlich länger an einem Stück und dementsprechend hat sich auch die Musik etwas gewandelt. Aber die Texte spielen grundsätzlich noch immer die dominante Rolle. Noch krasser kommt das bei den Konzerten zum Vorschein, weil hier das Bindeglied zwischen den Stücken immer die Stimme ist, die wie ein Fremdenführer oder Erzähler agiert.
Um Goethes Erben verstehen und fühlen zu können, muß man bereit sein, aktiv zuzuhören. Man kann sich das nicht nebenbei beim Geschirrspülen anhören oder während man sonst irgendwie beschäftigt ist. Es gibt Musik, die man auch im Hintergrund hören kann. In The Nursery zum Beispiel, und es gibt Musik, bei der man einfach zuhören muß. Ich kann ja auch nicht in ein Theater gehen und mal nebenbei schauen, was der da oben auf der Bühne erzählt, sondern ich muß mich mit der Sache beschäftigen."




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